Zum ersten Mal einen der Gletscher des grönländischen Icecap zu betreten ist etwas ganz besonderes. Zumindest für mich, denn es gibt mir eine winzige Ahnung davon, wie groß diese weiße, strahlende Unendlichkeit ist.
In Nattivit Kangertivat fließt der Gletscher relativ flach in den Fjord hinein, so dass man auf ihm gehen kann, ohne einen extremen Spaltenabbruch überwinden zu müssen. Und so freue ich mich, als mir Robert Peroni am Abend sagt, dass es am kommenden Tag, dorthin geht. Zuerst heißt es, sich warm anziehen. Überlebensanzug und Schwimmweste sind Pflicht. Denn mit dem Boot geht es über das offene Meer in Richtung Westen. Und dort ist es wirklich zugig frisch, in den Anzügen aber kuschlig warm.
Vom Dunkel ins Licht
Als wir aus dem Fjord kommen, können wir zuerst allerdings gar nichts sehen. Das Meer liegt ruhig und glatt, eingehüllt in seinen Nebelmantel. Immer wieder tauchen schemenhaft Eisberge auf. Sie werden immer größer und größer, bis sie fast ins Boot springen. Dann sind wir auch schon vorbei gesaust, denn die Bootsführer geben Vollgas und manövrieren uns zielsicher durch das Einheitsgrau.
Dann ist ein heller Streifen am Horizont erkennbar, gleichzeitig werden die Eisberge dichter – wir haben die Mündung des Sermilik Fjords erreicht. Zwischen den Giganten und den vielen kleinen Eis-Bruchstücken geht es auf die andere Seite des riesigen Fjords zur Einfahrt nach Natiivit Kangertivat.
Im türkisenen Fjord
Der Nebel wabert noch immer über uns, aber Stück für Stück zeigt sich der blaue Himmel. Fantastische Stimmungen ergeben sich zwischen Felswänden, Eisbergen und Nebel. Rotbraungraue Felsen, lilagrauer Nebel über uns, weißblau schillernde Eisgiganten, dunkeltürkisblaues Wasser. Dahinter strahlt das Icecap gekrönt von knallblauem Himmel.
Der Fjord wird flacher und das Wasser türkisfarbener und voller skurriler Eismonster. Gletscherwände voller wildgezackter Spalten neigen sich über Felsen herunter. Der Nebel umschleicht die Berge Richtung Sermilik Fjord.
Der Gletscher endet in einer flache Landzunge, an der wir über den Bug des Bootes an Land springen.
Über eine dicke Eisbrücke geht es auf den Gletscher, der hier unten eine graue Farbe hat. Die starken Winde tragen den Steinstaub der Moränen auf das Eis. Je höher wir steigen, desto weißer wird das Eis. Die unterschiedlich angeschmolzene und wieder gefrorene Oberfläche ist erstaunlich gut zu gehen. Das Eis knirscht unter meinen Schuhen. Spalten gibt es hier nur wenige und schmale. Wo doch, da gehen sie in die blaue Tiefe, wer die Ohren spitzt hört das Gluckern und Gurgeln des Schmelzwassers.
Aufgehoben in der Unendlichkeit
Etwa zwei Kilometer den Gletscher hinauf bleiben wir stehen. Gemessen an den gigantischen Ausmaßen des Icecap sind wir etwa ein Haarbreit weit gegangen. 2700 Kilometer lang, an der breitesten Stelle 1100 Kilometer breit und drei Kilometer dick ist der Eisschild, unter dem das Land begraben liegt. Das kann man sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Die ungeheuerliche Weite des Eises, das gleißende Licht am Horizont und ich mittendrin. Richtung Osten in der Ferne türkisene Wasser mit weißlichen Eisbergklecksen, Nebelschwaden. Groß. Gigantisch. Frei.
Größer als es die menschliche Natur zu fassen vermag. Ich komme mir verloren und gleichzeitig aufgehoben und zu Hause vor. Was für ein Gefühlsspagat! Wildheit, Unendlichkeit, Harmonie.
Das Icecap-Gletschertier
Dreimal insgesamt starte ich die Drohne hier, um mir die Wunderwelt von oben anzusehen. Alleine für diese drei Flüge hat es sich gelohnt, die Drohne nach Grönland mitzunehmen, auch wenn mich die Schlepperei manches Mal nervt.
Wenn mir nicht sowieso der Mund schon offen stehen würde vor Staunen, wäre es spätestens in diesen Momenten passiert. Der Gletscher wirkt lebendig, wie ein gigantisches Tier. Mit einem mal strubbeligen, mal glatten Fell. Auf einmal kommt es mir so vor, als würde er sich bewegen. Aber natürlich tut er das! Jeder Gletscher bewegt sich, er fließt. Und zum ersten Mal ist mir das nicht nur intellektuell klar.
Eiswände und Eisberge
Dann geht es wieder auf das Boot und zu meiner allergrößten Freude direkt zu den Eisbergen in den Fjord. Die Eiswände des Gletschers überragen uns in ihrer leuchtenden Bläue, wie von einem Riesen hingeworfen liegen große geometrische Eisquader am Fuß der Wand.
Da sich schon der Nachmittag neigt und sich über das Icecap eine schnurgerade Wolkenfront nähert, entwickelt sich am Himmel ein absurdes Farbspektakel. Nach Südwesten leuchten die Wolkenschleier orangegelb, nach Osten der Nebel unerklärlicherweise violett und Richtung Norden verschleiert sich die Sonne in einem kalten Weiß. Aus dem Fjord ragen die riesigen Eisberge in den verrücktesten Formen.
Ich bin total im Glück und weiß gar nicht, wohin ich zuerst fotografieren soll. Und wieder war ich froh über meine Energie, zwei schwere zwei Kamerabodies mitgeschleppt zu haben. Mit 24-70mm und 70-200mm bestückt, würde ich die auch gleichzeitig bedienen, wenn ich beide Schwergewichte auf einmal halten könnte. Hier aus den Mengen an Fotos eine Auswahl in türkis und blau:
Nebelzauber als Finale
Erschöpft sinke ich auf dem Rückweg ins Boot, das durch den Nebel Richtung Tasiilaq schießt. Aber die Natur hat noch eine Überraschung für mich vorbereitet. Am Eingang zum Fjord reißt es plötzlich auf und die Sonne zerstreut den Nebel. Was für eine atemberaubende Szenerie und ein glorreicher Abschluss dieser wundervollen Tour.
Als wir kurz nach acht Uhr die steilen Stufen zum Roten Haus hochschnaufen, empfängt uns Robert mit erwartungsvollem Gesicht – was wohl so viel heißen soll wie: Und, wie war’s am Icecap? Sagen brauche ich nichts, es ist mir anzusehen, mit wieviel Freude und Glück mich dieses magische Land heute erfüllt hat.
Gletscherbilder von meiner ersten Tour gibt es hier. Vom Eqi Gletscher in Westgrönland aus dem letzten Jahr hier.
[…] Meinen Ausflug zum Icecap könnt Ihr hier lesen. […]