Ammassalik ist eine Insel, deren westliches Ufer der Sermilik Fjord bildet. Insel heißt: Man kann sie (zumindest im Sommer) per Boot umrunden. Die Tour ist lang und so brechen wir früh in Tasiilaq auf. Zuerst ein kleiner Umweg, wir haben noch ein paar Gäste in Kulusuk abzusetzen. Wie gut, denn unterwegs kommen wir an einer Gruppe Robben vorbei, die an einem Eisberg herumschwimmen. Eigentlich sehen wir nur ein paar schwarze Köpfe auf- und abtauchen, aber immerhin.
Der übliche Seenebel schließt sich bei der Abfahrt von Kulusuk wieder um uns. Dass die Richtung stimmt, in die wir fahren, kann ich immerhin erahnen. Als er sich etwas lichtet, haben wir den Eingang des großen Ammassalik Fjords bereits hinter uns gelassen. Wir halten an einer steinigen Insel mit einem verlassen Ort darauf und klettern über die Felsen. Eine seltsame Stimmung, auf dem kleinen Friedhof allemal.
Die Inuit bestatteten ihre Toten immer mit Meerblick, zumindest alle Jäger. Sehr fürsorglich! Bestattung bedeutete früher, dass um und über den Toten Steine aufgeschichtet wurden. Genau so sehen die Gräber auf dem Hügel aus. Sie strahlen eine selbstverständliche Ruhe aus.
Klein Norwegen
Als es vollends aufreißt, biegen wir schon in den Fjord Ikaasatsviak ein, der Ammassalik im Nordwesten begrenzt. Tausend Meter hohe steile Granitwände erheben sich links und rechts, nur noch kleine Gletscherreste befinden sich in den Schultern.
Ein Dorf am Ende der Welt
Der Fjord endet in dem langgezogenen Felsrücken von Tiniteqilaaq. An dessen Ende liegt der Ort mit etwa 100 Einwohnern. Die Häuser sind direkt auf die Felsen gebaut. Als wir anlegen, herrscht völlige Stille, nur durchbrochen vom Gelärme einiger Kinder, die Fußball spielen. Es ist absolut windstill.
Ich folge der Straße am Supermarkt vorbei den Berg hoch. Der Supermarkt ist der wichtigste Ort im Dorf. Hier gibt es alles, was man zum Überleben braucht. Das muss es auch, denn Nachschub ist nicht einfach. Tiniteqilaaq ist ziemlich von der Welt abgeschnitten. Wenn man das von Tasiilaq schon sagen kann, trifft es für Tinit erst recht zu. Einmal pro Woche wird der Ort mit dem Helikopter angeflogen, im Sommer kommt ab und an ein kleines Versorgungsschiff, das von Tasiilaq aus die Dörfer anfährt. Hier hat man Boot und Hundeschlitten, damit man überlebt.
Stille am Fjord
Ich gehe die kurze Strecke bis zum Heliport und setze mich auf die Steine am Fjord. Das Wasser liegt wie ein Spiegel, darin die Eisberge. Von Ferne leuchtet das Icecap. Hinter den hohen Felsen des Johann Pedersen Fjords türmt sich das Eis auf über 1000 Meter Höhe auf. Das Licht ist unangenehm hell und hart, denn der Himmel ist mit ganz leichten Wolken bedeckt, die die Szenerie in ein gleißendes Licht tauchen. In der Ferne wabert der Nebel.
Überraschenderweise lassen sich keine Moskitos blicken. Auch gut! Am Ufer befinden sich Überreste von der Jagd. Die Stille ist vollendet, auch die Kinder sind vom Spielplatz verschwunden. Da höre ich es: Ein Plätschern und Blubbern, ein Rumpeln und Krachen von Ferne, dazwischen das Geschrei der Polarmöwen.
Hier habe ich Euch ein Geräuschpanorama gebaut. Das Donnern von Ferne sind die zerbrechenden Eisberge, das Knirschen der kleine Eisberg zu meinen Füßen. Genießt es und lasst Euch auf diese stille Welt ein, der Clip ist fünf Minuten lang.
Einer der größten Gletscher
Der Helheim Gletscher ist einer der größten ins Meer mündenden Gletscher Grönlands – und auch einer der am schnellsten fließenden. Im Durchschnitt bewegt er sich 30 Meter am Tag, also 11 Kilometer im Jahr. Also kalbt er eigentlich dauernd und entlässt riesige Eisberge in den Fjord. Wer mehr wissen will: Am Ende habe ich zwei Links zu Videos, die den Gletscher beim Kalben zeigen, wahrhaft spektakulär. Weitere Gletscher münden in den Sermilik Fjord, wie der Fenris und der Midgard am oberen Ende. So treibt ein nicht endenwollender Strom von Eisbergen in allen Formen und Größen an mir vorbei, als ich in Tiniteqilaaq oben auf dem Berg sitze und eine Stunde lang, nur von einem putzigen Hundwelpen beäugt, über den Fjord starre und meinen Gedanken nachhänge.
Eisberg-Sightseeing
Mit dem Boot fahren wir später zwischen die Eisberge: Schwarze Figuren, türkisene Tunnel und matterhorngleiche Spitzen, klares Eis wie blaues Glas, geschichtete Eistorten und Monster von der Größe eines ganzen Dorfes treiben Richtung Meer. Aber schaut selbst, was uns da alles vor die Kamera segelt:
Verlassene Siedlungen
Zwei Mal stoppen wir auf dem Weg zur Mündung des Fjords. Das erste Mal in Pupik, einer Felsnase, die in den Fjord ragt. Hier steht ein altes Erdhaus. Von weiterer Besiedlung ist nichts zu sehen, aber es gibt nicht weit entfernt ein verlassenes Dorf.
Dem Auge meiner Drohne bietet sich ein spektakuläres Bild: Ein Fjord voller Eisberge, umrahmt von verschneiten Gipfeln.
Nächster Stop ist Ikateq. Das Dorf wurde 2005 aufgegeben, die Bewohner sind nach Tasiilaq gezogen. Überall am Ufer der Ammassalik Insel und auch in anderen Fjorden gibt es aufgelassene Dörfer. Zu schwierig ist das Leben dort, wenn es Annehmlichkeiten eines größeren Ortes gibt. Und zu wenig ist übrig geblieben von dem Leben, mit dem sich die Ivi früher ernähren konnten.
Die Kirche und Schule ist offen, ein anderes Haus von den Elementen zerstört. Es wirkt, als wäre alles einfach so zurück gelassen worden. Ein Haus scheint noch bewohnt Wie ich später erfahre, leben hier immer mal wieder Jäger.
Zurück nach Tasiilaq
Das letzte Stück der Runde um die Ammassalik Insel fahren wir mal wieder im Nebel. Es ist schon spät, als wir in den Fjord vor Tasiilaq einbiegen und die Nebelbank verlassen, die auch heute fest an der Meeresküste klebt. Ein skurril geformter Eisberg gibt uns einen letzten Gruß mit.
Meinen Ausflug zum Icecap könnt Ihr hier lesen.
Hier sind die Links zu den Videos. Der Helheim Gletscher wird von Forschern seit langem intensiv beobachtet. Im Fjord südlich von Tinit liegt auch die Sermilik Forschungsstation.
Grit meint
Liebe Sylvia,
ich danke dir sehr dafür, dass du mich durch deine detaillierte Beschreibung, die spektakulären Fotos und auch noch die Geräuschkulisse ein Stück weit auf deine Reise mitnimmst.
In eine Geografie, die ich für mich so nicht auf dem Radar habe.
Ich wünsche dir alles Gute und denke gerne an unsere früheren Treffen zurück. Liebe Grüße, Grit
Sylvia Knittel meint
Liebe Grit,
Schön, auf diese Weise von Dir zu hören! Ich denke auch gern an unsere schönen Wanderungen zurück. Grönland ist weit ab vom Schuss, aber ein wundervolles Land voller Wunder…
Liebe Grüße
Kurt Fückiger meint
Hallo Silvia
Deine Erzählungen sind so spannend, dass man sich beim Lesen und Zuhören sogleich nach Grönland ???????? in die Weiten der Eisberge hineinversetzt fühlt. Vor allem dann, wenn man das selber schon mal erleben durfte. Vielen Dank für deinen tollen Bericht ????.
Sylvia Knittel meint
Danke Kurt! Es ist jetzt ein Jahr her, das wir zusammen dieses Land zum ersten Mal (für alle in unserer Gruppe außer Stefan) erleben durften. Ich habe gerade in den letzten Tagen intensiv daran gedacht, es war ein echtes Ereignis (huuuraschee 🙂 – ich denke gerade an unsere seehr lustige Sonnenaufgangsfotografie draußen am Eisstrom) Bei mir war es so nachhaltig, dass es mich nicht mehr loslässt. Umso lieber teile ich es mit allen, die hier gerne mitlesen. Liebe Grüße Sylvia